Kleines Schiff auf hohem Meer

Allein auf einem kleinen Schiff auf dem weiten Meer

— das kann Furcht auslösen:

Angst davor, von Wind und Wetter herumgeworfen zu werden.

Es geht auch anders: Mit der Strömung fließen

die Flauten akzeptieren und zur Ruhe nutzen

Rundern bei günstigen Winden.

Übung in Aquarell

Das folgende Gedicht habe ich vor vielen, ich weiß gar nicht mehr
wie vielen Jahren geschrieben, und es bildet den Auftakt zu meinem
Gedichtband; „Mein Krähennest“.

Wasserwirbelreise

Erfasst von wirbelnden Wassern

abwärtsgezogen im Strudel

– da hilft keine Abwehr gegen die Reise in die Tiefe

begleitet von Angst vor dem Acheron.

Da hilft nur:

Loslassen

sich überlassen

reisen mit der Strömung

um anzukommen

in einer terra incognita

in den Eingeweiden der Erde

in einer Tiefe

jenseits der vertrauten Welt

– was den Reisenden dort widerfährt

– in einer Zeit jenseits der Zeit –

ist geheim.

Nur loslassen

der Kraft des Strudels vertrauen

sich anvertrauen

ermöglicht den Wieder Aufstieg:

Emporgetragen werden

auf kristallenen Wirbeln

& sich wiederfinden

an der Quelle des Lebens

eines anderen Lebens:

Wo gesehen wird mit klaren Augen

gehört mit offenen Ohren

gesprochen eine wahrhafte Sprache

Versuch, ein Gedicht einzufangen — und was danach geschah

Versuch, ein Gedicht einzufangen

Das Bild lauert genau am Rande des Blickfelds.

Als ich meinen Kopf drehe,

flattern die Wörter auf und davon wie ein Vogelschwarm.

Ich weiß, sie sammeln sich wieder, in ihrer eigenen Symmetrie

Irgendwo hoch oben auf einem Dach oder einem Baum.

Versuchen, sie zurück zu locken führt zu nichts

keinem Vogel, keinem Wort.

Ich ergebe mich dem Nichts

gehe spazieren, mache Rast auf einer Bank

mein Geist wird still wie die Oberfläche eines Teiches… bis…

Etwas rührt sich

Nein, ich habe keine Brotkrumen, und doch strecke ich meine Hand aus

hinaus aus der Stille. und als ich meine Augen öffne

– Überraschung!

Ein Bläuling lässt sich nieder auf meiner Hand.

Wo sind sie, die Wörter?

Dieses Gedicht hatte ich kurz vor meiner Aphasie-Katastrophe für eine Anthologie eingesandt, woran mich erst die Nachricht erinnerte, dass es tatsächlich für eine Veröffentlichung ausgewählt wurde. Als ich es auf der beigefügten Korrekturfahne noch einmal durchlas, erschrak ich: Als hätte ich mir den zeitweisen Verlusts der Sprache vorausgeschrieben, mit den Bildern der Wörte, die auf und davon flattern wie ein aufgeschreckter Vogelschwarm.

(siehe Text „Aphasie“)

Als ich aber bei dem Schmetterling angekommen bin, der auf meiner Hand landet, kann ich schon wieder lächeln: Genauso war es, erforderte gleichermaßen Beharrlichkeit wie unendliche Beduld, die Spracheschmetterlinge wieder herbeizulocken.

Ich bedanke mich bei mir selbst für beides — und für mehr: Für jede neue inspirierende Idee, die mir zufliegt wie aus dem Nichts, und für meine zunehmende Geduld dabei, solche winzigen Keime wachsen zu lassen.

Neue Schamanin

Wäre ich eine Göttin —

welchen Job würde ich übernehmen?

Bisher war es offenbar der Job des Heilens —

immer und immer wieder.

Da gab es Sucht

da gab es gebrochene Knochen

da gab es den Flirt mit dem Suizid

weil alles so mühsam schien.

Da waren all diese Gefühlsknoten, die ich aufdröselte

scheinbar geduldig wie eine Strickerin,

im Innern jedoch vibrierend vor Ungeduld.

Schon bevor ich in diesen Kreis eintrat aus Krankheit

und Heilung und wieder Krankheit, da gab es andere,

die ihre Sorgen bei mir abluden,

ihre Unzufriedenheit, ihren Schmerz, ihr Leid —

und ich fühlte mich verantwortlich.

Wie diese Schamanen aus alter Zeit,

wenn sie die Leiden der anderen in sich einsogen in ihre eigenen Körper,

um dort, von tief innen heraus, Krankheit aufzulösen.

Ich bin es leid, diese Art des Heilens.

Was keineswegs heißt: Müde, heil zu sein.

Aber erschöpft, das Spiel des Heilens immer wieder

von Neuem zu beginnen.

Ich will nur noch: ganz und heil sein — und bleiben!

Eine neue Art von Schamanentum ist not-wendig

und dazu gehört: Andere auf sich selbst zurückwerfen.

Nur gerade noch so weit gehend, ihnen zu verraten:

„Ginge ich in deinen Schuhen, ich würde dieses ändern,

jenen Weg beschreiten, mich darauf konzentrieren.

Und du bist frei, es zu probieren.“

Was die Göttin des Heilens zu einer neue Schamanin macht

was sie verwandelt in die Göttin der magischen Transformation.

Lebensbilder, Lebensfarben

Porträt, aufgelöst

Harte kohlschwarze Linien

bestimmen die Umrisse

ausgefüllt mit Farbe:

So ist es. So sieht es aus, dein Leben.

Ich bevorzuge Wasserfarben:

sanfte Linien

mit dem Pinsel Konturen verwischen

das fest Gefügte auflösen

in den Hintergrund helle Lichter tupfen

Erinnerungen fließen ineinander

sich mischend und verändernd:

sich selbst neu erfinden

Das Lebensbild mit Farbe füllen

Manchmal wird das Leben einheitsgrau —

oder gar: Düster.

Dann geht nur noch im Kopf herum:

Das hätte ich gern‘ anders gemacht.

Oder gar: Warum sollte ich bleiben?

Wie wär‘s, dem Bild des Lebens neue Farben zu geben?

Die Seerose wurzelt tief im schlammigen Grund

nur langsam treibt sie ihre Blätter bis an die Oberfläche

und erst dort, wo Wasser und Luft sich begegnen,

entfallten sich ihre Knospen zur vollen Blüte.

Und wie wär‘s, am Ende, doch ganz sicher nicht unwichtig,

mit einem Bild des Todes?

Wie möchtest du dieses Leben verlassen?

Ich mag das Bild der Metamorphose:

So wie ein Schmetterling aus dem Kokon schlüpft

und abheben, schweben…

so leicht, wie ein Kleid abgelegt wird, den Körper verlassen.